Kurz vor Weihnachten war ich bei einem Freund werkeln. Er lebt mit seiner Familie in einem sehr alten, zu großen Teilen von ihm selbst stilvoll saniertem Haus, das bis ca. Anfang des 20. Jhd. als Dorfschule diente.
Beim Rausreißen der wurmstichigen Dielen im Dachgeschoss habe ich kleine fitzelige Reste von alten Zeitungen entdeckt. In alter Frakturschrift gedruckt, die am 03. Januar 1941 von den Nationalsozialisten zu Gunsten der Antigua Schrift verboten worden war. Mit Gewissheit kann mein Freund nicht sagen, wann die Böden verlegt worden sind. Aufgrund eines kleinen Fachwerkräumchens, das auf die Dielen drauf gebaut worden ist, und das als Schlafraum für den Schullehrer fungierte, gehen wir aber davon aus, dass die Dielen über hundert Jahre alt sein müssen. Dementsprechend alt also vermutlich die Zeitungsschnipsel.
Zusammenhängenden Text konnte ich den Fitzeln nicht mehr entnehmen, dafür waren sie zu klein, aber das erste Wort, das ich entziffern konnte, war das Wörtchen „liebevoll“. Mmh… „liebevoll“! Unter all den ca. 500.000 Wörtern der deutschen Kernsprache (spezielle Fachwortschätze nicht mitgerechnet), die es auch damals schon annähernd gegeben haben muss, genau dieses. Freudvoll staunend hat mich dieses „Liebevoll“ berührt.
In Momenten emotionaler Kälte, Härte und Verwirrung – sei diese in mir selbst verortet oder begegnet sie mir im Außen – ist dieser Bezug hin zu einer „liebevollen“ Qualität des Seins ganz essentiell für mich. Der Kälte, der Härte und der Verwirrung kann diese liebevolle Qualität sanft lösend Wärme, Weichheit und Klarheit entgegenbringen. In Momenten des Schmerzes ist sie der Schlüssel oder kann ein Schlüssel sein hin zu einem freundlicheren Umgang mit mir selbst bzw. der Situation und meiner Umgebung.
Und was bedeutet das nun konkret – eine liebevolle Qualität? Wie so oft, darf das ein jeder und eine jede für sich selbst erforschen. Was bedeutet liebevolle Qualität konkret in (d)einem Leben?
In meinem Fall bedeutet das jetzt gerade an diesem Neujahrstag, mir selbst – trotz der Einbettung in einen sozialen Kontext mit Familie, Nachbarn, Besuch von Freunden und Bekannten – einen Raum des Rückzugs und der Stille zu gestatten. Ein Raum, um zu atmen, innezuhalten, zu spüren, zu reflektieren. Es bedeutet Reaktionen, Projektionen und Selbstbilder anzugucken und ggf. gar durchlässiger werden zu lassen. Es bedeutet Schmerz bewusst beobachten und erfahren zu können und ihn selbstbewusst anzunehmen. Annahme – anstatt ihn nicht spüren zu wollen oder anstatt mich ihm einfach nur ausgeliefert zu fühlen oder mich gar als Opfer zu erleben – welches dann natürlich auf Tätersuche geht! Es bedeutet auch mich damit einhergehend der Qualität der Liebe hinzuwenden:
Mir selbst und meiner Umgebung – trotz des bzw. wegen des Schmerzes – ein mitfühlendes Lächeln zu schenken.
Mich innerlich auf die Liebe auszurichten (über kleine Gesänge, Rezitation, Meditation und sanfte Berührung) und ihr die Möglichkeit zu schaffen, in mir wirken zu können: Es darf geschehen, ich wehre mich nicht!
Diese Art mir selbst (wie auch immer ich dieses Selbst nun definiere) und meiner Umgebung liebevoll begegnen zu können, kennt aus meiner Perspektive keine zeitlichen, sozio-kulturellen, ethnischen, religiösen oder wie auch sonst gearteten Grenzen. Ob im Nachgang eines verheerenden Krieges wie 1918, ob zu aktueller Stunde oder in hundert Jahren, ob in einer spezifischen Glaubensgemeinschaft, einer ethnischen Gruppe oder einem bestimmten sozio-kulturellen Kontext: Einen authentisch liebevollen Umgang braucht es immer, wie unterschiedlich das dann auch immer gelebt werden mag vom jeweiligen Individuum im Kontext seiner Zeit und Gruppenzugehörigkeit. Und die „liebevolle“ Annahme bildet eine wesentliche Grundlage in diesem Prozess. Mit allem (!), was dazu gehört, und ohne (!) daran festzuhalten.
In diesem Sinne:
„Sei Du selbst, sei einfach Du selbst“ – „Be yourself, just be yourself“
„Nimm Dich an, nimm dich einfach an“ – „Accept yourself, just accept yourself“
„Liebe Dich selbst, liebe einfach Dich selbst“ – „Love yourself, just love yourself“
L * I * E * B * E * L * I * E * B * E * L * I * E * B * E * L * I * E * B * E
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